Am 24. Februar veranstaltete das ZIP die zweite virtuelle Diskussion in seiner Formatreihe „Salon HumanismusPlus“.
Darin präsentieren namhafte Vordenker Bildungsideen, die auf ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung zielen. Unter dem Titel „Persönlichkeitsbildung international – Was können wir von Großbritannien lernen?“ hatte das ZIP diesmal Prof. Dr. James Arthur OBE, den Gründer und Direktor des Jubilee Centre for Character and Virtues an der Universität Birmingham, als Gast geladen.
Auf dessen Ausführungen antwortete Mathias Molzberger, stellvertretender Schulleiter des Aloisiuskollegs in Bonn, mit Erfahrungen aus dem „pädagogischen Innenraum“. Im Anschluss führten die beiden Protagonisten ein offenes Gespräch mit rund 50 Teilnehmende aus dem Bildungs- und Stiftungsbereich.
Charakterentwicklung als Bildungsziel
Den Auftakt der Salon-Reihe hatte im November vergangenen Jahres der Soziologe Prof. Dr. Heinz Bude gemacht. Ausgehend von einer Allensbach-Studie, die den hiesigen Bedarf nach Charakterentwicklung als wesentlichem Bildungsziel belegte, unterstrich er, dass ignatianische Schulen gut aufgestellt seien, Selbstreflexion und eine verantwortungsvolle Lebensführung zu kultivieren. Der zweite Salon nahm diese inhaltliche Vorlage nun auf und reicherte sie durch den Blick ins Ausland an.
Sir James Arthur betonte, Lehrkräfte bräuchten eine „klare Vision“ ihrer pädagogischen Ziele, um zur Persönlichkeitsbildung der Schülerinnen und Schüler beizutragen.
Im Zentrum steht die Förderung von Tugenden im Sinne eines praktischen Wissens. Dies ist die Grundlage für das Gedeihen von Individuen, aber auch sozialen Gruppen und der Gesellschaft insgesamt.
Charakterentwicklung verbinde also die Einzel- und die Gemeinschaftsperspektive, weise sie als sich wechselseitig befruchtend aus. Dass sich Persönlichkeiten durch Einbettung in soziale Kontexte bildeten, illustrierte Sir Arthur etwa am Beispiel von Familien, Freundschaften oder geteilten Projekten.
Wie kann Charakterbildung umgesetzt werden?
Doch kann der Anspruch, den Charakter von Schülerinnen und Schülern zu formen, nicht auch übergriffig sein? Sir Arthur sieht dahingehend in demokratischen Gesellschaften keine Manipulationsgefahr. Charakterbildung geschehe im Klassenraum ohnehin – es komme darauf an, sie anhand bewusster Wertvorstellungen zu betreiben.
Dazu müssen Lehrer ihre professionelle Urteilskraft nutzen.
Eine „direkte Ethik“ stehe also nicht im Widerspruch zum „empowerment“ (Pater Zimmermann) der Schülerinnen und Schüler; vielmehr sei sie deren Voraussetzung.
Um Charakterbildung institutionell umzusetzen, gebe es keine Blaupause. Wichtig sei allerdings, keine Konzepte zu oktroyieren, sondern von unten aufwärtsstrebend vorzugehen und den Willen der Beteiligten einzubeziehen. Ohne Wahlfreiheit der jungen Menschen funktioniere es nicht. Schließlich unterstrich Sir Arthur trotz seines Plädoyers für ein reichhaltiges extracurriculares Angebot von Sport bis Theater:
Charakterbildung ist kein Zusatz.
Sie hänge vor allem von der Haltung der Lehrenden und der Schulkultur ab. Daran entscheide sich, ob Schulen lediglich als „Prüfungsfabriken“ fungieren, oder eine Umgebung schaffen, in der die Schülerinnen und Schüler zu intellektuell, sozial und emotional reifen Personen heranwachsen.
Bildung als Sich-Bilden des freien Subjekts
Vor der Folie dieser aristotelisch inspirierten tugendethischen Argumentation akzentuierte Mathias Molzberger mit Blick auf eine christliche Anthropologie die „Unverfügbarkeit von Prozessen der Persönlichkeitsbildung“. Humanismus verstehe Bildung immer als Sich-Bilden des freien Subjekts. Als Abbilder Gottes dürften Schülerinnen und Schüler niemals instrumentalisiert, also zu Objekten externer Bildungsanliegen gemacht werden. Für Lehrer bedeute dies, eine demütige Haltung einzunehmen.
Als Praktiker skizzierte Herr Molzberger in der Folge, wie Persönlichkeitsbildung im Unterricht gelingen könne. Im Klassenraum brauche es etwa Zeit für (Selbst-)Reflexion, das Einüben von Perspektivwechseln, eine Befassung mit komplexen Themen in angemessener Sprache und den steten Versuch, den Dingen auf den Grund zu gehen. Doch auch jenseits des Unterrichts böten Jesuitenschulen „Oasen“ der Persönlichkeitsbildung, d.h. Erfahrungen, die grundlegend für das Leben der jungen Menschen werden können. Dazu zählten z.B. Gottesdienste und Gebete, Stilleübungen, Exerzitien, Sozialengagement in Krankenhäusern und Kitas oder die demokratische Selbstorganisation im Klassenrat.
Kommende Salon-Veranstaltungen werden diesen Spuren folgen und sie weiterführen, immer orientiert an der grundlegenden humanistischen Prämisse der Selbstzweckhaftigkeit von Bildung.
Protokolliert von Lutz-Peter Hennies