Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freunde des Heinrich Pesch Hauses,
in vielen Häusern stehen jetzt wieder die Krippen. In ihnen versammeln sich – dicht gedrängt – die Hirten mit ihren Schafen und ihren Gaben vor dem Kind in der Krippe. Ein Bild zwischenmenschlicher Wärme und solidarischen Zusammenhalts in rauer Zeit. Danach sehnen viele Menschen sich weit über die christlichen Milieus im konfessionellen Sinn hinaus. Die Kälte, vor der die Armen im Stall und im solidarischen Miteinander Schutz suchen, ist vor allem auch eine soziale Kälte. Unzählige Lieder besingen den hartherzigen Herbergswirt, der die schutzsuchenden Geflüchteten raus aufs offene Feld treibt.
Ich liebe dieses Bild auch. Es beschreibt eine Sehnsucht, die tief in mir wurzelt. Als Christ aber darf ich dieses Bild nicht zum winterlichen Sehnsuchtskitsch verzerren, nicht zur eskapistischen Sentimentalität reduzieren, die ich mir halt zur kalten Jahreszeit gönne. Schön, um daheim am Herd noch enger mit „meinen Leuten“ zusammenrücken zu können im Wohlgefühl, dass es bei uns ja Gott sei Dank warm ist.
Soziale Kälte ist heute wieder mehr denn je eine Realität in Deutschland: Egal ob es die bösartige Dämonisierung von Geflüchteten ist, die unmenschliche Barbarei, mit der wir uns an den Grenzen Europas des „Flüchtlingsproblems“ entledigen wollen oder die kurzsichtig-dumme und hartleibige Wurstigkeit, mit der Politiker als Erstes nach dem Sturz eines unmenschlichen Terrorsystems in Syrien nur darüber nachdenke, wie viele Syrer jetzt hoffentlich nach Hause gehen; die gewaltsame Rhetorik gegen Andersdenkende und Menschen, die andere Lebensstile verkörpern. Oder denken wir an die Gemeinde und die Bewohner eines Ortes in Oberbayern, die eine Straße nicht umbenennen wollen, die lieber Betroffenen und Familien auch Jahrzehnte nach seinen Taten zumuten, mit der Ehrung des als Sexualstraftäter verurteilten Priesters konfrontiert zu werden, nur um ein paar Unannehmlichkeiten wie fehlgeleitete Briefe zu umgehen. Da ist die immer wiederkehrende Auferstehung eines menschlich ekelerregenden Zombies, „Antisemitismus“, der in manchen deutschen Familien offenbar gepflegt wird wie eine liebgewordene Tradition, nur um nicht zugeben zu müssen, dass sich unter den eigenen Vorfahren feige Mörder oder Mitläufer eines unmenschlichen Regimes befanden.
Alfred Delp schreibt über die, die nicht an der Krippe stehen: Es sind die Mächtigen, die Besitzenden und die, die schon alles wissen. Nicht an der Krippe stehen auch jene Vertreter der Amtskirchen und die „unerschütterlich-sicheren Gläubigen“. Denn die glauben – wie er schreibt – an alles, an jede Zeremonie und jeden Brauch, nur nicht an den lebendigen Gott. Und den Weg zur Krippe finden auch nicht die Spießer und die Genießerchen. Warum? Na, ich würde sagen: Nicht an der Krippe stehen die, denen es reicht, wenn sie selbst das Leben spüren und genießen können; die, denen es reicht, wenn sie mit ihrer Perspektive recht behalten und der eigene Vorgarten sie davor schützt, dass ihnen das ungeplante Leben und Menschen mit anderen Sichtweisen nahekommen. Kurz: Wer schon im Warmen sitzt, müsste ja in die Kälte, um zur Krippe zu gehen. Und wem der eigene kleine Friede reicht, wer keinen echten, existentiellen Hunger danach hat, dass die göttliche Botschaft von Frieden, Gerechtigkeit, Solidarität und der Verheißung des Glücks alle Menschen erreicht, der oder die bleibt daheim.
Zur Krippe kommen die Menschen, die angetrieben sind von einer Sehnsucht und bereit, das Haus zu verlassen, um durch die Kälte zur Krippe zu gehen, damit Menschwerdung geschehen kann. Dazu sind wir eingeladen. Das spricht nicht dagegen, sich gemeinsam seinen Lieben erst einmal selbst daheim von der Botschaft des Friedens im Herzen berühren zu lassen und durchzuatmen. Aber wer davon dann satt ist und nicht den Antrieb spürt, danach wieder aufzubrechen, um zur Krippe zu gehen, der oder die hat von Weihnachten nichts verstanden.
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen und Ihren Lieben ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest. Möge der Engel, der uns Menschen den Frieden verkündet, uns alle in Bewegung setzen, damit wir den Menschen im kommenden Jahr etwas Frieden und viele Gaben des Friedens bringen.
Frohe Weihnachten!